Der Tod aus Kindersicht

Wir Kinder und der Tod – Der Tod aus Kindersicht

 

1. Der Tod ist nicht endgültig.

Als Kind war für mich nicht vorstellbar, dass dieses „Wegsein“ meiner Schwester jetzt für immer sein sollte. Ich war überzeugt davon, dass meine Schwester zwar tot war, aber wiederkommen würde, oder dass wir uns zumindest mit dem Todsein abwechseln könnten.

 

2. Die Toten leben weiter.

Nur, weil meine Schwester eben tot war, bedeutete das für mich nicht, dass sie nicht mehr lebte. Ich glaubte, dass sie auch nach ihrem Tod weiterlebte, eben unter der Erde, und dass sie dort sogar mehr konnte als vorher, schließlich war da ja niemand, der ihr helfen konnte. Ich achtete darauf, ihre Gefühle nicht zu verletzen.

 

3. Die Toten wohnen unter der Erde.

Da ich gesehen hatte, wie meine Schwester beerdigt wurde, war ich mir relativ sicher, dass meine Schwester unter der Erde war, und nicht im Himmel, wie manche Menschen sagten. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, wie man im Himmel leben sollte, ohne hinunterzufallen.

 

4. Man stirbt, wenn man alt ist oder weil man einen Autounfall hatte oder etwas Gefährliches gemacht hat.

Ich konnte mir lange Zeit nicht erklären, warum meine Schwester gestorben war. Schließlich war sie wie ich ein Kind, und Kinder sterben nicht, und sie machte auch nichts Gefährliches, sondern lag nur herum. Dass die Behinderung Schuld für ihren Tod sein sollte, fand ich unglaubwürdig, sie hatte schließlich die Behinderung schon lange, ohne daran zu sterben. Wie kann man bitte schön vom Herumliegen sterben?

 

 5. Eine Beerdigung ist eine komische Sache.

Warum man meine Schwester unter der Erde verbuddelte, konnte ich überhaupt nicht verstehen. Ich fühlte mich, als hätte man mir meine Schwester das zweite Mal weggenommen, erst durch ihren Tod und dann noch durch die Beerdigung. Es kam mir herzlos vor, meine Schwester so tief in der Erde zu vergraben, und auch sehr dumm, schließlich vergräbt man doch für gewöhnlich nichts, was man liebt, in der Erde.

 

6. Es ist merkwürdig, dass die Welt nicht stehen bleibt.

Vielleicht denkt man als Kind ohnehin, dass sich alles um einen selbst dreht, und man der Mittelpunkt der Welt ist, und dann stirbt die Schwester, und man hat soviele Gefühle, die man noch nie hatte, und ist wie erstarrt und gefroren, und die Welt dreht sich weiter, als hätte sie das gar nicht mitbekommen. Merkwürdig.

 

7. Der Tod ist unerbittlich.

Vor dem Tod meiner Schwester glaubte ich daran, alles beeinflussen zu können. Ich glaubte daran, dass meine Schwester aufhören würde tot zu sein, wenn ich nur laut und deutlich sagte, dass ich sie wiederhaben mochte. So war das bisher immer gewesen, wenn man etwas will, dann kann man wütend werden, und dann finden sich Lösungen und man ist zufrieden. Nur beim Tod, da war das anders.